Freitag, 30. März 2012

Pilau

Nachdem ich mich nun entschieden habe, ab Montag in ein neues Projekt zu gehen, ist heute die letzte Chance für das Mittagessensprojekt.
Gestern bereits war ich mit unserem Koch Kassim in Ibiza auf dem Markt, und der Mensch ohne Schulabschluss schafft es, seinen Kostenvoranschlag von 36,40 Euro auf den Cent genau einzuhalten.
Kartoffeln schälen ohne Kartoffelschäler
Heute finden wir uns gemütlich in der Küche zusammen. Während Kassim den Porridge für das Frühstück der Mädels bereitet (ich helfe, das Getreide hineinzurühren), schnippel ich schonmal Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln für das Mittagessen. Später setzt Kassim das Fleisch auf, während ich die unglückliche Aufgabe habe, auch den Rest des Kollegiums von meinen Wechselplänen zu unterrichten, wobei mir glücklicherweise mit viel Verständnis begegnet wird. Ich verspreche, wiederzukommen, um noch das ein oder andere Projekt mit den Mädels zu starten.

Unsere Mädels werden mit Hilfe einer Jahresstiftung für Frühstück und Mittagessen jeden Tag ernährt. Aber nur alle zwei Wochen gibt es für sie einen Fitzel Fleisch, der diese Woche eigentlich wieder dran wäre, aber aus Gründen der aktuellen Marktpreise leider ausbleiben muss. Jetzt, wo die Prüfungsphase in vollem Gang ist, hatte ich ohnehin beschlossen, der Schule ein Mittagessen zu spendieren, und dann machen wir das eben heute. Unsere Sozialarbeiterin, Fidia, darf das Gericht aussuchen und sagt sofort Pilau - das möge hier jeder. Dabei handelt es sich um eine Art Reispfanne mit Tomaten, Knoblauch und allerhand Gewürzen, die sehr orientalisch schmecken, sowie ein paar Stücken Rindfleisch. Rind ist hier eindeutig die günstigste Wahl, wenn es um Fleisch geht. Den Kühen, die man öfter am Rand der Hauptstraße grasen (oder die Mülldeponien frequentieren) sieht, sieht man schon an, dass sie eher kein zartes Filetsteak liefern, sondern eher eine Art zähes, arg durchwachsenes Gulasch, welches wir nun fürs Pilau verwenden. Ich bin nicht überzeugt, aber Fidia leckt sich schon die Lippen, während sie um den Topf schleicht, und ich glaube ihr, dass dieses Essen für die Mädchen und Lehrer ein gutes ist.

Teamwork!

Später wird der Reis in der Fleischbrühe gekocht, und ich beteilige mich gern, die zehn Kilo des weißen Getreides hoffentlich fachgerecht mit einem riesigen Holzlöffel vor dem Anbrennen über offenem Feuer zu retten. Meine Augen tränen vom Rauch und den Zwiebeln, aber Spaß macht es trotzdem, und Kassim läuft begeistert um die Kochhütte und fotografiert mich.

Mittags tragen wir den großen Pott dann gemeinsam zur Ausgabestelle, wo die Mädels schon ungeduldig aufgereiht mit ihren Plastiktellern stehen. Für die Lehrer, die sonst nie in der Schule essen, und das Personal wird sogar Porzellan zu Tage gefördert. Kassim, Meister der Kalkulation, teilt die würzige Reispfanne gerecht auf rund 70 Portionen auf, hält genügend zurück für die Mädchen, die die Mittagspause nutzen, um zum Freitagsgebet in die Moschee nebenan zu gehen und freut sich dann selbst über seine Portion. Auch die Lehrer bleiben heute allesamt da und gehen nicht zum Essen in unser "Stammlokal", die Garküche an der Straße.

Ich bin ganz zufrieden mit meinem Werk, und hoffe, dass es nicht allzu arg nach "Abschiedsgeschenk" aussieht.


hungrige Mädels nach der Klausurwoche
Ganz herzlich bedanken möchte ich mich bei meiner Mutter (danke, Mama!) und meiner Freundin Elisabeth (danke, Liz!) für eure liebe Unterstützung des kleinen Mittagessensprojektes, und ich hoffe, ihr freut euch über die Fotos! Ich werd eine Tüte Pilaugewürzmischung mit heim bringen und dann spendiere ich euch eine Portion :)


Bollywood


Ich persönlich finde ja, man kann mir nicht vorwerfen, dass ich pauschale Vorurteile gegen irgendwelche Volksgruppen hege. Aber wenn ich nicht bald einen vernünftigen Inder treffe, ist es bald passiert.
Nachdem ich einen guten Teil des Jahres 2011 mit einem zusammen leben durfte, der erst der festen Überzeugung war, die Strahlen meiner Mikrowelle (keinesfalls aber die seines Handys) killen die mühsam durch Yoga am Laufen gehaltenen Energieflüsse in seinem Körper und mich anschließend um einen Monat Miete beschiss, konnte heute endlich der Wanderpokal des irrsten Inders mit Pauken und Trompeten weitergereicht werden.

Heute hab ich etwas früher Feierabend gemacht und bin zum Impfen ins westliche Palm Beach Hospital gegangen. Da mein Abflug hierher relativ kurzfristig war, hatte nicht die gesamte Gesundheitsvorsorge mehr in den Zeitplan gepasst, und wird nun einfach hier zu Ende gebracht. Ein bisschen übertrieben finde ich sieht es aus, für eine simple Impfung ins beste Krankenhaus der Stadt zu gehen, aber was solls. Ich werde gut behandelt und ca. 20 anderen wartenden Patienten vorgezogen. Etwas besorgt denke ich an die Rechnung. Der Tollwutimpfstoff samt Verabreichung in Deutschland hatte um die 70 Euro gekostet. 100 hab ich mit und hoffe, es reicht, da für Weiße hier ja schließlich immer alles teurer ist. Glücklicherweise kostet es dann nur 20 Euro, plus 2 Euro Behandlungsgebühr. Das Zeug kommt aus Indien und hat einen anderen Namen als mein Impfstoff der ersten beiden Dosen. Ich lese viermal die Packungsbeilage und frage ebensooft nach, ob es auch wirklich prophylaktisch ist und nicht etwa die Therapie für nach dem Biss. Das Päckchen sieht aber Vertrauen erweckend aus, alles schön und steril verpackt inklusive Spritze und Kanüle (hatte ich zur Sicherheit auch selber mit). Die Krankenschwester pfeffert die erste Dosis vom Tisch und sie zerbricht. Ich bekomme eine neue, und siehe da, sie stellt sich mal deutlich besser an als unser komischer Dorfdoktor, bei dem ich mangels Alternative vor Abflug war und bei dem ich mir sicher bin, dass er zum Impfen vergessen hat, die grosse Nadel zum Aufziehen der Spritze gegen eine dünne auszutauschen.

Und an dieser Stelle kam der Inder auf den Plan. Im Krankenhaus in Ukunda natürlich, nicht beim Dorfdokter in Köln. Der Zahnarzt, dem ich zum Teil letzte Woche beim Medical Camp in der Buschschule assistiert habe, hatte mitbekommen, dass ich im Krankenhaus war, in dem er auch arbeitet, und kam vorbei, um bei meiner Behandlung zuzuschauen. Und machte einen sinnvollen Vorschlag: Angesichts der kreislauffeindlichen klimatischen Bedingungen außerhalb des Gebäudes könnte ich mich eine halbe Stunde im Gemeinschaftsraum der Ärzte ausruhen, der ein paar bequeme Sofas, Zeitschriften und eine Klimaanlage habe. Klingt vernünftig, oder? Ich gehe also auf das Angebot ein. Als nächstes passiert etwas sehr Seltsames, das entweder mit Schizophrenie, Zauberei oder aber mit dem zu tun hat, weswegen mir Inder allmählich suspekt werden: Ein seriöser (mit kleinen Abstrichen für das indische Kopfgewackel), in Anzug und weißen Kittel gekleideter Zahnarzt verlässt das Zimmer, und etwa eine Viertelstunde später kommt der selbe Mann zurück, und hat sich doch in eine eigentümliche Witzfigur verwandelt. Er hatte offenbar geduscht und trägt jetzt nur noch ein Handtuch zu einer Art Lendenschurz gewickelt. Und er hat eine brillante Idee: Ich könnte doch mit auf sein Zimmer kommen und bei ihm essen, baden, und schlafen. Ich komme mir vor wie im falschen (Bollywood-)Film. Mental kratze ich mich eine ganze Weile am Kopf, kneife mich, mache ein paar mal die Augen auf und zu, um zu sehen, ob der Inder vielleicht verschwindet (was er nicht tut) und lehne dann – überraschenderweise – dankend ab. Das scheint den bestimmt Vierzigjährigen arg zu kränken. Er ergreift und küsst meine Hand, beginnt zu weinen, und beteuert, ich sei die Liebe seines Lebens. Ich erkläre ihm, die Liebe meines Lebens säße in Deutschland und das sei ja nun leider, leider für ihn ein gewisses Problem. Doch so ein Problem ist meinem indischen Verehrer offenbar völlig fremd. Ich wundere mich, hatte ich doch gedacht, auch in Indien gäbe es ein Konzept von Partnerschaft und Beziehung, und ich bin mir auch immer noch sicher, dass ich nicht allzu falsch liege. Entgeistert schaut er mich an und meint doch unverblümt, es ginge doch schliesslich nur um Sex? Er würde sich wünschen, falls er mal eine Frau hätte, dass die ihm Spass im Urlaub erlauben würde, und ob ich meinen Freund daheim nicht mal anrufen und um Erlaubnis fragen wolle. Besagter Freund sollte sich nachher, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hatte, bedauernd äußern, dass ich das nicht auch gemacht habe. Dafür war ich allerdings zu irritiert. Ich floh unter Vorwänden in einen Teil des Krankenhauses, in dem sich mehrere Leute aufhielten, den Verehrer weiter auf den Fersen, flehend, ich möge doch bleiben, mindestens noch eine Stunde, und bettelnd um meine Telefonnummer. Da ich sie ihm nicht gebe, gibt er mir seine. Dann bin ich frei, und die Nummer landet im Müll.

Unter der hoffnungsvollen Annahme, dass ich hier nicht mehr krank genug werde, um ins Hospital zu müssen, hätte jetzt alles vorbei sein können – wäre da nicht die Sache mit dem T-Shirt. Das hatte ich beim Medical Camp dabei gehabt und als Kopfbedeckung genutzt, später mal ausgezogen und verloren. Und ich weiss, dass der Zahnarzt es hat. Ich hab ihn danach gefragt und er meinte, er habe es gefunden, mitgenommen, aber die Putzfrau hätte es weggeräumt und ich müsse nochmal kommen, um es zu holen. Ja nee, ist klar. Ein besonders tolles T-Shirt ist es nicht, aber mich macht die Vorstellung unzufrieden, wie er möglicherweise nun abends daran schnüffelt oder weiß Gott was noch damit treibt.
Und jetzt kommt meine Lieblingsgeschichte der ganzen Woche: Ich bin unterwegs quer durch Ukunda mit Philip, dem Schulleiter der Busara Junior, und Herrn Dr. Alexakis, seineszeichens ebenfalls Zahnarzt und Mann von Birgit, der Vereinsvorsitzenden. Als wir am Krankenhaus vorbeikommen, frage ich, ob es vielleicht möglich wäre, dass sie mir helfen, das Shirt zurückzubekommen, da ich alleine dort nicht mehr rein wolle. Und Herr Alexakis fährt sofort ran, spaziert schnurstracks rein und erzählt einem Typen, der sehr nach Manager aussieht, energisch, seine Tochter (er zeigt auf mich) habe ein T-Shirt beim Zahnarzt verloren und möchte es zurück. Der Inder kommt und fällt fast in Ohnmacht, jammert, die Putzfrau habe das Shirt weggeworfen und bekommt im Gegenzug einen Anschiss vom Manager, dass Patienteneigentum in diesem Krankenhaus niemals wegkäme. Ich muss grinsen. Der Manager verspricht anzurufen, sobald das Shirt da ist, oder sie werden es ersetzen. Da ich meine Telefonnummer nicht geben möchte, übernimmt auch das mein „Pseudopapa“. Am nächsten Tag in der Schule überreicht er mir mein Shirt. „Der Verehrer war sehr traurig“, meint er. Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Das Shirt ist frisch gewaschen, hat ein paar blaue Flecken, riecht frisch. Ich hoffe, ich begegne dem Kerl nicht mehr auf der Straße – immerhin sehen wir beide hier auffallend aus. Zum Glück werde ich bald umziehen. Und ich überlege, ob ich nun erst recht mal nach Indien fahren muss, um mich davon zu überzeugen, dass es da auch normale Leute gibt (immerhin gibt es ne Milliarde!), oder ob ich mich erstmal von dort fernhalten sollte, falls ich Pech habe und es nicht so ist J Das ist natürlich Spaß. Aber für heute habe ich dennoch die Schnauze gestrichen voll von Indern, und deswegen gibts zum Abendessen auch kein Chapati, Samosa oder Masala Chai, sondern kenianisches Pilau. Und das, obwohl kenianische Männer ja keinen Deut besser sind. Dazu später bestimmt mehr.

Ich danke Antonis Alexakis herzlich für diese supercoole Aktion und die Wiedergewinnung meines T-Shirts!
Und an meinen lieben Schatz zu Hause: Yasin, ich hoffe, du weisst, wie arg ich schätze, was wir beide nun schon so lange aneinander haben, insbesondere angesichts der ganzen Oberflächlichkeit in diesem Land. Ich umarme dich fest und liebe dich sehr. 

Sonntag, 25. März 2012

alte Posts 2: Eindrücke


Diesen Blog gibt es erst, seitdem ich an der Diani Busara Junior School arbeite, aber ursprünglich bin ich schon zwei Wochen vorher da gewesen und hatte in einem anderen Projekt gearbeitet. Da die ersten Eindrücke immer die spannendsten sind, möchte ich sie hier nicht vorenthalten und veröffentliche dazu Auszüge aus meinen E-Mails nach Hause aus diesen Tagen, hier eine davon: 


Ich hab mich schon ganz gut eingelebt im heißen Ukunda und schon eine Menge netter Locals kennen gelernt - alles Mädels, die Kerle sind mir zu aufdringlich. Die Leute sind freundlich und sitzen den ganzen Tag draußen, verkaufen Zeug, gehen zur Kirche oder Moschee, kochen, brutzeln, schimpfen mit ihren Kindern und hören reggaeartige Musik bis tief in die Nacht. Die Häuser haben keine Fenster, sondern mit Fliegengitter bespannte Löcher (wenn sie gut sind) oder entweder einfach gar keine Wände oder Wände ohne Fenster (wenn sie nicht so gut sind), deshalb hört man immer seine Nachbarn und das Leben auf der Straße. Dafür fühlt man sich nicht so allein.
In der Schule (D. M. Academy) ist es auch schön, das Gelände ist sehr hübsch und weitläufig, die Kollegen nett und das Projekt läuft gut. Dennoch denke ich sehr konkret darüber nach, aus Gründen, die ich hier fairerweise nicht aufführen möchte, das Projekt frühzeitig zu wechseln und ich werde mich am kommenden Wochenende nach Alternativen umsehen. Bitte nicht so auffassen, dass die D.M. Academy ein nicht-unterstützenswertes Projekt ist! Diese Mädels haben auf jeden Fall Paten und Zuschüsse verdient und das Projekt ist gut und sinnvoll organisiert und verfolgt einen vernünftigen Zweck.


Sonst habe ich mich gestern aus dem vertrauten Umfeld getraut und bin mal durch die Nebenstraßen geschlendert. Ich wohne auf der Hauptstraße des Ortes Ukunda (zwischen Rongai Restaurant und einer Werkstatt, gegenüber der alten Caltex-Tankstelle, lautet meine Adresse - denn Straßennamen und Hausnummern gibt es hier nicht), und es gibt zahlreiche Stichstraßen, in denen die Hütten sehr viel enger stehen und es ziemlich arg nach Slum aussieht. Viecher laufen herum und Kinder, die Leute verbrennen ihren Müll und verkaufen alles mögliche Zeug. Auf den Lebensmitteln sitzen die Fliegen, der Fisch stinkt, die Tomaten faulen. Ich habe nach Mangos gesucht, die mir die auf der Hauptstraße zum Wucherpreis von 50 Eurocent verkaufen wollen, obwohl sie eigentlich nur 10 kosten sollen. Auf der Suche nach den Mangos haben mich dann ein paar Ladys in einem Klamottenladen (aka Hütte mit T-Shirts und Hosen drin) so irre freundlich begrüßt, dass ich gleich mal da versackt bin, und wir haben geredet und gelacht und es war richtig lustig. Netterweise haben sie mich danach nach Hause begleitet, weil es schon dunkel war. 
Am Strand war ich bisher erst selten, aber dafür wird heute Nachmittag oder morgen Zeit sein. Der ist natürlich klasse, aber meine Haut muss sich noch an die Sonne gewöhnen und so gehe ich lieber abends oder nachmittags erst. Zum Transport gibt es hier wackelige Massentaxis, genannt Matatu: Alte Kleinbusse voll gestopft mit Leuten, aber besser als Tuk Tuks und Motorräder. Matata ist übrigens das Kisuaheli-Wort für "Problem" - und ich habe den Verdacht, dass "Matatu" irgendwie davon abgeleitet wurde (oder umgekehrt). Die Dinger haben immer mehr Passagiere als Plätze und wer Pech hat, steht im Türrahmen und hängt mit dem Hintern im Fahrtwind. Ein Matatu hat immer einen (meist suizidal veranlagten) Fahrer und einen zweiten Typen, der dazu da ist, Leute zum Einsteigen zu bewegen, die Fahrtroute kundzutun und das Geld einzusammeln. Eine Fahrt kostet je nach Länge zwischen 20 (zum Strand) und 50 (nach Mombasa) Eurocent, und bisher hat sich noch keiner getraut, mir kein Wechselgeld zu geben, obwohl das Ausländern wohl öfters passiert. So geht hier inzwischen alles seinen gewohnten Gang. Ich genieße meinen ersten freien Tag und habe erstmal ausgeschlafen. Im Restaurant nebenan wird heute sogar Köln-Dortmund übertragen, wofür ich bis vor einer Woche noch eine Karte hatte. Vielleicht gehe ich das dann gleich schauen. 


Euch alles Liebe und bis bald!

Samstag, 24. März 2012

Medical Camp

Meine Arbeitstage im alten Projekt sind Dienstag bis Samstag, aber an diesem meinem ersten Samstag geht es nicht an die Schule, sondern gleich zu einer tollen Aktivitaet, auf die ich mich ausserorderntlich freue:
Mit Unterstuetzung des ortsansaessigen Rotary Clubs, einer Busladung Schwesternschuelerinnen einer Homoeopathieklinik (ein niederlaendisch gefoerdertes Projekt) samt medizinischer Ausruestung und einem Zahnarzt aus dem guten Palm Beach Hospital soll heute die Schueler einer oeffentlichen Grundschule im Busch samt Angehoerigen kostenlos medizinisch durchgecheckt und versorgt werden.
Ich selbst habe ja keine medizinische Vorbildung, sonst haette ich mir ueberlegt, meine Zeit hier in Afrika der Vebesserung der Situation in Sachen Aids zu widmen. Immer noch finde ich es ein Unding, dass in weiten Teilen des streng glaeubigen Afrikas die katholische Kirche die Benutzung von Kondomen als Suende propagiert, obwohl Vielen nichts anderes bleibt als die Prostitution, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Damit nicht genug vertrauen die Leute in Sachen Gesundheit dann gerne irgendwelchen Hexendoktoren im Busch, und diese verschreiben allen Ernstes Sex mit Jungfrauen als Heilmittel gegen HIV. Da koennte ich im Achteck springen! Und noch mehr. Aber leider kann ich ein solches Projekt eben nicht machen, ohne Medizin studieren oder zumindest eine Ausbildung zur Krankenschwester zu absolvieren.
Deshalb freue ich mich ausserorderntlich, dass ich heute einer Aktion im Namen der Gesundheit zumindest beiwohnen kann und mit zu diesem Medical Camp genommen werde.
Der Kleinbus, mit dem ich hinfahre, transportiert neben mir und der Leiterin des Rotary Clubs noch den Zahnarzt und dessen Ausstattung, die in mehrere grosse Kartons verpackt ist. Wir sind die ersten vor Ort vom Gesundheitskommando - doch viele Schueler und Eltern haben sich schon erwartungsvoll in der Schule eingefunden.




farbenfrohes Wartezimmer
Wir beschliessen, mit dem anzufangen, was da ist. Die Patienten werden im Schulhof versammelt, und der Schulleiter spricht ein paar einleitende Worte auf Kisuaheli, dann auf Englisch, was aber die meisten der juengeren Kinder noch nicht verstehen. Dabei grinst er, und die Kinder lachen, und ich finde es toll, dass alle so positiv an die Sache herangehen. Ich darf mich nuetzlich machen und einen Vortrag ueber Mundhygiene halten. Mit Hilfe dieses tollen Riesengebisses und einer Zahnbuerste, wie wir es alle aus unserer Grundschulzeit kennen, erklaere ich den Kindern, wie man richtig die Zaehne putzt, und man hoert mir gespannt zu. Ich spreche langsam und zeige das Modell herum, wiederhole alles, und der Schulleiter uebersetzt auch noch. Ich finde, ich stelle mich ganz gut an, und hoffe, die Kinder vergessen nicht so schnell, was gesagt wurde. Danach bauen wir eine kleine Zahnklinik in einem Klassenzimmer auf. Dazu werden die Schultische und -stuehle so gerueckt, dass eine Art Wartezimmer entsteht und vorne zwei Stuehle fuer den Arzt und den Patienten. Im Schnelldurchlauf wird im Laufe des Vormittags allen Anwesenden (und das sind ueber 500!) in den Mund geschaut, eine kurze Diagnose getroffen, Zahnbuersten geschenkt und in schlechteren Faellen auch Mundwasser, und viele, viele dazu aufgerufen, sie moegen doch eine Praxis aufsuchen um zu retten was zu retten ist - schliesslich sind Zaehne ein unverzichtbares Werkzeug, insb. hier, wo Zahnersatz ein Fremdwort ist.


Blutzucker messen
Inzwischen sind auch die Schwesternschuelerinnen eingetroffen und es wird an vielen Stationen gearbeitet. In einem Zimmer werden den Eltern und Grosseltern der Kinder Blutdruck und Blutzucker gemessen. Am Ende des Tages gibt es zehn Diabetes-Dagnosen zuvor voellig ahnungsloser Leute. Andernorts stehen Muetter mit kleinen Kindern in einer Schlange zur Entwurmung. Parasiten sind hier ein grosses Problem. Ich besuche die Station, an der Jiggers entfernt werden. Dabei handelt es sich um seltsame Insektenlarven, die die Zehen befallen und sich dort einnisten. Man faengt sie sich beim Barfusslaufen in unsauberen Gegenden, und leider ist es offenbar so, dass die Kinder der Sache kein grosses Interesse schenken. Viele der hier behandelten Fuesse erst achtjaehriger Kinder sind uebel zerfressen und verfault. Ich habe Hemmungen zu fotografieren, weil ich die KInder nicht blossstellen moechte, doch denen ist das voellig egal. Niemandem ist etwas peinlich. Auch der Oma beim Zahnarzt nicht, die drei zusammengewachsene Zaehne besitzt, die den Zahnarzt so umhauen, dass er sich meine Kamera fuer ein Foto borgt. Die Dame sperrt brav den Mund auf und laesst sich ablichten. Haette ich nicht gemacht. Aber ich verstehe, dass die Leute gern kommen, wenn sie diese Vorsorge umsonst bekommen koennen.


drei zusammengewachsene Zaehne

Fuss mit Jiggers


Wieder andere bekommen Aufklaerung zum Leben mit Tuberkulose. Es werden Flyer verteilt, auf denen vorne gross steht, TB sei heilbar. Darin findet sich eine Anleitung zum Umgang mit der Krankheit, einmal schriftlich, dann in Bildern, weil einige Leute nicht lesen koennen. Ich haette anhand der Bilder niemals erkannt, was ich haette tun muessen, und bin sehr froh, dass die meisten Kenianer inzwischen wohl erkannt haben, wie wichtig Schulbildung ist und ihre Kinder auch hinschicken.


meine Haare sind ja so spannend
Nach dem Rundgang mache ich eine kleine Pause im Schatten. Kinder, die gerade nicht behandelt werden, kommen und betrachten mich schuechtern und neugierig. Ein Lehrer kommt und hilft mit dem Uebersetzen, und ich lerne zwei neue Begriffe - unaitwa nani und unatoka wapi - wie heisst du und wo kommst du her. Nach einer Weile erst trauen sich vereinzelte Kinder zu antworten. Andere kauen schuechtern auf den Naegeln und wenden sich verlegend lachend ab, wenn ich sie anspreche. Doch sie ruecken langsam, langsam immer naeher und ich sehe ihren Konflikt zwischen Neugier und Schuechternheit und muss lachen. Ich sage meinem Uebersetzer, er solle den Kindern ausrichten, sie duerfen mich ruhig anfassen, wenn sie wollen, weil ich sehe, dass sie genau das wollen - und im selben Moment bin ich unter einem Stapel schmutziger Grundschueler verschwunden. Ohne Ruecksicht wird meine Kopfbedeckung heruntergerissen, die blonden Haare zerzaust, die Arme gestreichelt. Die Kinder johlen und lachen, und ich gehe ebenfalls lachend in Deckung, bis der Lehrer die Kids zurueckpfeifft und alle deutlich geloester sind als vorher.

Bis am spaeten Nachmittag dauert das Camp, bis wirklich alle versorgt und alle gespendeten Medikamente aufgebracht sind. Dies war nur ein kleines Camp, mit eingeschraenkten Behandlungsmoeglichkeiten, aber es war ein voller Erfolg. Alle hatten toll zusammengearbeitet, das Angebot war von einer breiten Masse angenommen worden, und diese Schule hatte es wirklich noetig gehabt. Die Helfer bekommen zum Dank am Ende noch eine Cola und ein paar Stuecke Ingwergebaeck, dann fahren alle nach Hause mit dem schoenen Gefuehl, heute etwas Sinnvolles getan zu haben. Ich haette noch laenger bleiben koennen, so gut hat es mir gefallen. Ich hoffe, dass ich die Moeglichkeit bekomme, noch an weiteren, aehnlichen Aktionen teilnehmen zu koennen.


das Team :)










Dienstag, 20. März 2012

Kreuz des Südens

Meinen ersten Globus hat mir mein Opa geschenkt. Er war aus Plastik, von innen illuminierbar und etwas größer als ein Basketball. Ich war gerade so alt, dass ich noch in den Karton passte, in dem der Globus verpackt war und der Deckel zuging, und deshalb erinnere ich mich an nicht mehr viel. Nur, dass ich seitdem Karten und Geographie furchtbar toll finde, und dass mich auf diesem Globus eine bestimmte Landmasse schon immer fasziniert hat, nämlich Australien. Auf dem Globus damals hätte ich sicher mit meinem Finger nicht dahin zeigen können, wo sich mein Heimatland Deutschland befand, nicht mal Europa, aber Australien hab ich gleich entdeckt, das weiss ich noch.
Seitdem finde ich Australien super. Ich hatte alles daran gesetzt, möglichst bald dorthin zu kommen, und es mit sechzehn tatsächlich geschafft - zum High School Aufenthalt, für sieben Monate damals. Das ist jetzt fast ein Jahrzehnt her (unglaublich!). Mit Australien hatte ich zum ersten mal einen Kontinent ausserhalb Europas betreten, was ab diesem Zeitpunkt dann fast jährlich geschah. Doch nach wie vor ist Australien unübertroffen ganz, ganz vorne. Sydney ist meine Stadt, damals wie heute, und auch, wenn ich seit 2005 nicht mehr dort war.

Die Australier sagen (meist die Augen verdrehend), es kommen viele Leute aus Europa, die als erstes die Badewanne voll- und wieder ablaufen lassen, nur um zu sehen, ob der Strudel sich in entgegengesetzter Richtung bildet wie zu Hause (Ähnliches passiert offenbar hier in Kenia zu beiden Seiten des Äquators, was ziemlicher Schwachsinn ist). Ich dagegen hatte nach meiner Ankunft Down Under als erstes den Himmel im Blick, und ich suchte nach einer bestimmten Sternformation, die so prominent auf den Staatsflaggen Australiens und Neuseelands vertreten ist: Das Kreuz des Südens. Man findet es leicht, denn es sieht genauso aus wie auf genannten Flaggen, doch sieht man es tatsächlich nur von der südlichen Hemisphäre aus. In meiner Erinnerung ist es einfach der Himmel über Australien.
Mit der Reise nach Kenia habe ich seit langem mal wieder den Äquator überquert. Nur wenige Kilometer zwar, aber als ich prüfend nach oben schaue, ist das Kreuz des Südens wieder da. Ich freue mich. Von Horoskopen halte ich nichts - aber auf diese Weise können ein paar Sterne mich trotzdem glücklich machen. Weil ich mich bisher immer wohl gefüllt habe dort, wo sie zu sehen waren. Und das ist ein gutes Omen.

Montag, 19. März 2012

Karibu

"Jambo! Karibu!", sagt die Dame am Flughafenschalter grinsend und mit einer fast singenden Stimme zu mir. Ich schiebe ihr unter der Plastikwand, hinter der sie sitzt, meinen Pass, die fünfzig Dollar für das Visum und das mehr schlecht als recht ausgefüllte Einreiseformular zu. Sie schaut kaum darauf und klebt mir das Visum in den Pass. Dann darf ich einreisen. Nochmals sagt sie "Karibu!".
Ich, noch in Jeans und Pulli gerade einem extrem wackeligen Direktflug aus Frankfurt lebend entkommen, schleppe schwitzend meinen Trekkingrucksack und das kleine Handgepäck in die für einen internationalen Flughafen recht erbärmliche Ankunftshalle von MBA - Mombasa intl.
Vierundzwanzig Jahre alt bin ich, aus Köln, und heiße Yvonne, genannt Ivy im englischsprachigen Ausland, weil die Leute Yvonne selten korrekt aussprechen. Den größten Teil des letzten Jahres habe ich in Kanada gelebt und gearbeitet. Für mich ist "Karibu" ein Tier. Hier ist es das Universalwort, es heißt "willkommen", aber man kann es ständig verwenden. Für "bitteschön" zum Beispiel. Als Gruß. Als Glückwunsch. Das werde ich noch herausfinden. Aber noch bin ich etwas überfordert mit der Hitze und der Einfachheit, mit der ich in dieses Land gekommen bin. Angeblich sei die Einreise streng, sagte einer meiner besten Freunde namens Google. Man müsse ein Rück- oder Weiterreiseticket vorlegen. Mein Rückflug geht ab Johannesburg - das hatte aber nur den Condorfutzi in Frankfurt gestört, der offenbar entrüstet war, dass ich mit seinem Arbeitgeber nur in eine Richtung fliege. Ich hatte ihm einen Brief der kenianischen Botschaft gezeigt, der besagte, dass jedes mit gesundem Menschenverstand ausgestattete Individuum in der Lage sei, zu erschließen, dass man, um ein Flugzeug in Johannesburg zu besteigen, vorher die kenianische Grenze nach außen hin übertreten müsse. Nach einer erstaunlich langen Zeit hatte auch der Mensch von der Condor einen leichten Anfall gesunden Menschenverstands gehabt und mich durchgelassen. In Kenia dagegen keine Probleme, also mal wieder umsonst beunruhigt.
Ein Taxi holt mich ab. Das geht eigentlich gegen meine Prinzipien, ich fahre sonst nämlich immer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, egal, wo ich hinfahre, und da habe ich schon eine ganz schön lange Liste zusammen. Aber angesichts der Tatsache, dass dies mein erstes, wirkliches Mal in Afrika ist (Ägypten zählt zwar geographisch dazu, aber kulturell ist es eben der Nahe Osten und nicht Schwarzafrika), und ich die Nacht im Flugzeug erwartungsgemäß eher an den Sitz geklammert als schlafend verbracht habe, habe ich mich breitschlagen lassen, den teuren Service in Anspruch zu nehmen.
Mombasa ist eine Insel. Keine Ahnung, wo genau der Flughafen liegt, aber vermutlich auch darauf, denn um nach Ukunda, meinem Wohnort für die nächsten acht Wochen zu kommen, müssen wir auf die Fähre. Kürzlich erst wollten offenbar die Japaner statt der Fähre eine Brücke über den Hafeneingang bauen, aber die Kenianer wollten nicht die Brücke, sondern das Geld für die Brücke, und wenn Japaner eins nicht sind, dann blöd, und das Angebot wurde zurückgezogen. Deswegen gibt es weiterhin die Ferry, denn damit verdient man Geld. Dafür müssen die Leute zur Rush Hour eben anstehen - und die ist jetzt. Da ich in einem Auto sitze, komme ich aber auf das erstbeste Boot.
Die Fähre ist genauso voll mit Leuten wie vorher die Straßen, durch die wir gefahren sind. Die Sitzlehne ist zu weit nach vorn geneigt, klemmt, sodass ich sie nicht zurück bekomme, und ich sitze unbequem, genieße aber den Fahrtwind durchs offene Fenster und die ersten Eindrücke der neuen Umgebung. Ich liebe es, irgendwo anzukommen, in einer neuen Stadt, wo es noch alles zu entdecken und erkunden gibt. Die Vorfreude stellt sich ein. Vor Kurzem ist erst die Sonne aufgegangen, und schon wuseln Unmengen Leute über die staubigen Seitenstreifen der löchrigen Teerstraßen. Eckige Häuser bauen sie nun, keine runden, wie in den illustrierten Kinderbüchern über Afrika, die ich früher gesehen hatte. Die Dächer sind aus Wellblech, so gut wie alles einstöckig und recht klein. Bunte Schilder sind vorn angebracht, die die tollsten Sachen versprechen, Hühner rennen umher und Ziegen, Kinder in Schuluniformen werden huckepack zum Schulbus getragen, gut und europäisch gekleidete Leute in langen Hosen oder Röcken mit weißen Hemden und Blusen und vom Staub braunen Lederschuhen sind offenbar auf dem Weg zur Arbeit und begegnen dabei voll verschleierten Frauen in Schwarz genauso wie in bunte Tücher gehüllten Damen, die Wasserkanister aus Plastik oder Feuerholzbündel auf dem Kopf umhertragen. Man weiß kaum, wohin man zuerst schauen soll. Von meinem Fahrer hoffe ich, dass er auf die Straße schaut, die von Leuten ungeachtet des Verkehrs gekreuzt, von Kühen versperrt, die Verkehrsregeln nicht beachtenden Motorradfahrern mitbenutzt und von gefährlich nahekommenden, riskante Überholmanöver ausführenden Kleinbussen in voller Breite in Gegenrichtung genutzt wird. Ich befürchte, der Kofferaum, in dem mein Gepäck liegt, ist nicht abgeschlossen; meinen Rucksack mit Wertsachen und Papieren halte ich fest auf dem Schoß, als die ersten Leute durch das offene Fenster mein weißes Gesicht aus der Nähe betrachten kommen. Kinder winken mir zu und rufen schon wieder "Karibu!", aber ich schaue mich nicht mehr nach Tieren um. Das ist jetzt Afrika, darauf werde ich mich einstellen.
Ich kann gar nicht sagen, mit welchen Erwartungen ich hierher gekommen bin, dafür ging alles zu schnell. Man kennt die Bilder von Krisengebieten aus den alljährlich zur Weihnachtszeit in ihrer Häufigkeit nervenden Spendensendungen im Fernsehen - aber von Kenias Küste hatte ich, außer den schillernden Paradiesbildern auf gängigen Pauschalreiseportalen im Internet keinen Begriff. Man findet kaum Bilder, wenn man nach Ukunda sucht, und wie eine Straßenszene hier aussieht, erfahre ich erst heute. Es gibt - im Unterschied zum letzten richtig armen Entwicklungsland, das ich besuchte - Kambodscha - keine Refugien in Form von klimatisierten Einkaufszentren mit westlichen Reliquien wie McDonald's oder Starbucks mehr, sowas hat nur die Hauptstadt Nairobi (ok, in Kambodscha gab es so etwas wohl auch nur in der Hauptstadt). Auf den ersten Blick sieht man, dass es wohl doch das ärmste von mir jemals besuchte Land und es damit auch gerechtfertigt ist, dass ich zum Volunteering hierher gekommen bin. Dabei wollte ich erst eigentlich nach Mosambik, Malawi, Uganda, Äthiopien.... und bin dann hier gelandet, weil die Nähe zum Touristengebiet doch immerhin die Sicherheit gibt, dass man zur Not mal schnell in einem guten Krankenhaus oder mit dem Flieger zu Hause ist. Soviel, um die armen Eltern zu beruhigen. Aber nur, weil Touristen herkommen, geht es der Gegend auch nicht besser. Dazu aber später mehr.

Die Fahrt dauert ungefähr eine Stunde, die Landschaft ändert sich nicht mehr gewaltig. Nach der Fähre hören die mehrstöckigen Gebäude, die im Stadtzentrum Mombasas stehen, auf, und wir fahren durch Likoni, eine miese Gegend am andern Ufer der Fähre, wo mein Fahrer das Fenster schließt. An der Straße sind kleine Marktstände zu sehen, einer neben dem anderen, immer mit der gleichen Ware: Von Fliegen besetzte Tomaten, Bananen, Mangos und Zwiebeln, manchmal Kohl, manchmal Passionsfrüchte, und alles sieht so aus, wie das, was übrig bleibt, wenn die der EU-Norm entsprechenden Früchte längst exportiert wurden. Die Stände ziehen sich bis nach Ukunda.
Ukunda besteht im weitesten Sinne aus einer Hauptstraße, und das ist dieselbe Straße, die etwa zwei bis drei Kilometer von der Küste zurückgesetzt diese entlang von Mombasa nach Tansania führt. Sie ist gut ausgebaut und sauber geteert, und ich denke, dass dies den Touristen zuliebe geschehen ist, die in ihren Hotelshuttles mehrmals täglich hier entlang gekarrt werden. Später erfahre ich, dass es jedoch hauptsächlich für den Transport von Bodenschätzen ausgebaut wurde, die in der Nähe entdeckt wurden und dort abgebaut werden. Auf dem Weg ist die Landschaft mal bebaut, mal weniger, überall stehen grüne Palmen, doch der Boden ist staubig, denn es ist Trockenzeit und seit Monaten gab es keinen Tropfen Regen. Trotzdem ist die Landschaft bunt - nicht nur wegen der farbenfrohen Müllberge zu beiden Seiten der Straße, sondern auch wegen blühender Büsche in leuchtenden Farben und den allgegenwärtigen, großen grünen Mangobäumen, dem blauen Himmel, den bunten Bussen und den so schön gekleideten Einwohnern.
Ich schaue begeistert aus dem Fenster, will alle Eindrücke aufsaugen und eine erste Einschätzung treffen, ob ich mich hier wohlfühlen kann (bei Städten weiß ich das immer innerhalb von 24 Stunden, aber dies hier ist ein Dorf). Plötzlich biegt der Taxifahrer in einen Innenhof - durch einen schmalen Durchgang gelangt man in noch einen weiteren, kleineren dahinter, und dort stehen vier baugleiche Bungalows sich paarweise gegenüber. "Karibu", sagt der Fahrer. Ich bin dann wohl jetzt hier zu Hause.

meine Wohnung von außen (hübsch!)

meine Wohnung (Küche) von innen
Ich treffe die Leiterin meines Projekts an einer weiterführenden Mädchenschule, die jetzt meine neue Nachbarin ist und mich schon erwartet. Sie hat mir eine kenianische SIM-Karte, die ersten paar Schillinge (einer davon entspricht etwa einem Eurocent, da fällt das Umrechnen leicht) und auch etwas zu essen besorgt: Ein irrsinnig triefendes, toastscheibenförmiges Fettgebäck ohne Zucker, von dem sie selbst schwärmt (ist es unfreundlich zu sagen, dass man das sieht?), ich eher weniger. Ich fühle mich gut aufgehoben. Jetzt würde ich gern duschen und mich endlich umziehen, und vor allem einen großen Schluck Wasser trinken, aber dazu kommt es nicht. Die Dame ist so voller Tatendrang, dass ich erstmal einen langen Vortrag bekomme über meine zukünftigen Aufgaben, und vor allem, was ich lieber nicht tue, mich mit einem Lehrer einlassen zum Beispiel. Ich bin sehr irritiert, weil ich das a) nicht vorhabe und b) das gleich am ersten  Tag ohne Anlass diskutiert werden muss. Ich will immer noch Wasser. Während sie redet, schalte ich ab, und begutachte meine Behausung. Die Wohnung soll für kenianische Standards gut sein. Groß ist sie immerhin. Aber gut? Die Ausstattung erinnert mich weitgehend an eine alte Garage. Alles aus grauem Beton, der irgendwann mal nass gewesen sein muss und jetzt bröckelt. Keine Tapete, keine Fliesen, kein PVC, kein Teppich. Alles grau und gammelig. Darin ein altes Sofa, wie vom Sperrmüll oder eben wie in der Garage bis zum nächsten Sperrmüll, zwei einfache Betten, aber mit guter Matratze, ein Kühlschrank (Halleluja!), eine "Dusche" (Betonraum, tatsächlich mit Duschkopf und, wie mir versichert wird, meistens auch Wasser, kalt natürlich, aber das macht nichts), ein Klo, auch mit fließend (aber langsam fließend) Wasser, weitgehend verrostet, ein Waschecken, ebenfalls verrostet (und das Wasser entsprechend orange), und eine kleine Küche (Herd, der angeblich explodiert, wenn man ihn anstellt, und ein schief an der Wand befestigtes Spülecken, auch rostig). Sicher kann man hier leben, aber im ersten Moment bin ich etwas unerfreut über den verhältnismäßig hohen Preis, den mich das ganze dann doch kostet. Mich stört nicht der allgemeine Standard der Wohnsituation, aber man hätte die Wohnung auch etwas liebevoller ausstatten, etwa streichen, können. Im Bad-Vorzimmer geht das Licht nicht, ebenso in der Küche, und die Vorhänge der verfliegengitterten Fenster sind grau, schief und auf links angebracht. Aber ich sage nichts, denn ich weiß ja, dass ich vermutlich immer noch besser lebe als alle die Mädchen und Lehrer, mit denen ich ab morgen arbeiten werde.
Forty Thieves Bar mit Ausblick

Irgendwann ist auch das Eingangsgespräch zu Ende, und ich kann duschen und trinken. Dann wird mir vorgeschlagen, den restlichen Tag am Strand zu verbringen; ein Angebot, das ich gern annehme. Ich lasse mich mitnehmen in die Forty Thieves Beach Bar und verbringe drei angenehme Stunden mit einer kühlen Cola im Schatten am Indischen Ozean, akklimatisiere mich und kann endlich entspannen vom Flug. Es waren zwar nur acht Stunden, aber die Anreise davor zum Flughafen mit dem Bummelzug, die lästigen, traurigen Abschiedsszenen, die letzte Nacht zu Hause, die vor Anspannung auch nicht besonders lang war... all das kommt jetzt allmählich hoch, und ich fühle mich erschöpft. Mit einem Auge beobachte ich belustigt ein Schauspiel, das sich auf und neben dem nächstliegenden Baum abspielt: Drei Afrikaner vs. ein Affe, der offenbar ein ungern geseher Gast ist, aber ganz gechillt oben auf dem Baum sitzt und völlig unbeeindruckt beobachtet, wie die Männer nach ihm springen, greifen und mit leeren Flaschen nach ihm werfen. Der Affe gewinnt.

Auf dem Rückweg fahren wir noch zum Supermarkt, und ich kaufe mir mehrere Flaschen Wasser und eine Instant-Nudelsuppe für heute Abend.
Damit geht der erste Tag zu Ende. Ich löffle meine Suppe, während auf meiner Veranda meine Projektleiterin eine Nageldesignerin empfängt und sich für einen Euro die Hände verschönern lässt. Dann baue ich das Schlafzimmer um, sodass ich am Fenster schlafen kann - binde das Fliegennetz ans Fenster, schalte den Deckenventilator ein, und beschließe trotzdem, in Unterwäsche zu schlafen. Das Kissen ist hart und unbequem, und ich verbanne es aus dem Bett. Ich telefoniere kurz mit zu Hause, dann falle ich um. Ankunft in Kenia geglückt.