Freitag, 30. März 2012

Bollywood


Ich persönlich finde ja, man kann mir nicht vorwerfen, dass ich pauschale Vorurteile gegen irgendwelche Volksgruppen hege. Aber wenn ich nicht bald einen vernünftigen Inder treffe, ist es bald passiert.
Nachdem ich einen guten Teil des Jahres 2011 mit einem zusammen leben durfte, der erst der festen Überzeugung war, die Strahlen meiner Mikrowelle (keinesfalls aber die seines Handys) killen die mühsam durch Yoga am Laufen gehaltenen Energieflüsse in seinem Körper und mich anschließend um einen Monat Miete beschiss, konnte heute endlich der Wanderpokal des irrsten Inders mit Pauken und Trompeten weitergereicht werden.

Heute hab ich etwas früher Feierabend gemacht und bin zum Impfen ins westliche Palm Beach Hospital gegangen. Da mein Abflug hierher relativ kurzfristig war, hatte nicht die gesamte Gesundheitsvorsorge mehr in den Zeitplan gepasst, und wird nun einfach hier zu Ende gebracht. Ein bisschen übertrieben finde ich sieht es aus, für eine simple Impfung ins beste Krankenhaus der Stadt zu gehen, aber was solls. Ich werde gut behandelt und ca. 20 anderen wartenden Patienten vorgezogen. Etwas besorgt denke ich an die Rechnung. Der Tollwutimpfstoff samt Verabreichung in Deutschland hatte um die 70 Euro gekostet. 100 hab ich mit und hoffe, es reicht, da für Weiße hier ja schließlich immer alles teurer ist. Glücklicherweise kostet es dann nur 20 Euro, plus 2 Euro Behandlungsgebühr. Das Zeug kommt aus Indien und hat einen anderen Namen als mein Impfstoff der ersten beiden Dosen. Ich lese viermal die Packungsbeilage und frage ebensooft nach, ob es auch wirklich prophylaktisch ist und nicht etwa die Therapie für nach dem Biss. Das Päckchen sieht aber Vertrauen erweckend aus, alles schön und steril verpackt inklusive Spritze und Kanüle (hatte ich zur Sicherheit auch selber mit). Die Krankenschwester pfeffert die erste Dosis vom Tisch und sie zerbricht. Ich bekomme eine neue, und siehe da, sie stellt sich mal deutlich besser an als unser komischer Dorfdoktor, bei dem ich mangels Alternative vor Abflug war und bei dem ich mir sicher bin, dass er zum Impfen vergessen hat, die grosse Nadel zum Aufziehen der Spritze gegen eine dünne auszutauschen.

Und an dieser Stelle kam der Inder auf den Plan. Im Krankenhaus in Ukunda natürlich, nicht beim Dorfdokter in Köln. Der Zahnarzt, dem ich zum Teil letzte Woche beim Medical Camp in der Buschschule assistiert habe, hatte mitbekommen, dass ich im Krankenhaus war, in dem er auch arbeitet, und kam vorbei, um bei meiner Behandlung zuzuschauen. Und machte einen sinnvollen Vorschlag: Angesichts der kreislauffeindlichen klimatischen Bedingungen außerhalb des Gebäudes könnte ich mich eine halbe Stunde im Gemeinschaftsraum der Ärzte ausruhen, der ein paar bequeme Sofas, Zeitschriften und eine Klimaanlage habe. Klingt vernünftig, oder? Ich gehe also auf das Angebot ein. Als nächstes passiert etwas sehr Seltsames, das entweder mit Schizophrenie, Zauberei oder aber mit dem zu tun hat, weswegen mir Inder allmählich suspekt werden: Ein seriöser (mit kleinen Abstrichen für das indische Kopfgewackel), in Anzug und weißen Kittel gekleideter Zahnarzt verlässt das Zimmer, und etwa eine Viertelstunde später kommt der selbe Mann zurück, und hat sich doch in eine eigentümliche Witzfigur verwandelt. Er hatte offenbar geduscht und trägt jetzt nur noch ein Handtuch zu einer Art Lendenschurz gewickelt. Und er hat eine brillante Idee: Ich könnte doch mit auf sein Zimmer kommen und bei ihm essen, baden, und schlafen. Ich komme mir vor wie im falschen (Bollywood-)Film. Mental kratze ich mich eine ganze Weile am Kopf, kneife mich, mache ein paar mal die Augen auf und zu, um zu sehen, ob der Inder vielleicht verschwindet (was er nicht tut) und lehne dann – überraschenderweise – dankend ab. Das scheint den bestimmt Vierzigjährigen arg zu kränken. Er ergreift und küsst meine Hand, beginnt zu weinen, und beteuert, ich sei die Liebe seines Lebens. Ich erkläre ihm, die Liebe meines Lebens säße in Deutschland und das sei ja nun leider, leider für ihn ein gewisses Problem. Doch so ein Problem ist meinem indischen Verehrer offenbar völlig fremd. Ich wundere mich, hatte ich doch gedacht, auch in Indien gäbe es ein Konzept von Partnerschaft und Beziehung, und ich bin mir auch immer noch sicher, dass ich nicht allzu falsch liege. Entgeistert schaut er mich an und meint doch unverblümt, es ginge doch schliesslich nur um Sex? Er würde sich wünschen, falls er mal eine Frau hätte, dass die ihm Spass im Urlaub erlauben würde, und ob ich meinen Freund daheim nicht mal anrufen und um Erlaubnis fragen wolle. Besagter Freund sollte sich nachher, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hatte, bedauernd äußern, dass ich das nicht auch gemacht habe. Dafür war ich allerdings zu irritiert. Ich floh unter Vorwänden in einen Teil des Krankenhauses, in dem sich mehrere Leute aufhielten, den Verehrer weiter auf den Fersen, flehend, ich möge doch bleiben, mindestens noch eine Stunde, und bettelnd um meine Telefonnummer. Da ich sie ihm nicht gebe, gibt er mir seine. Dann bin ich frei, und die Nummer landet im Müll.

Unter der hoffnungsvollen Annahme, dass ich hier nicht mehr krank genug werde, um ins Hospital zu müssen, hätte jetzt alles vorbei sein können – wäre da nicht die Sache mit dem T-Shirt. Das hatte ich beim Medical Camp dabei gehabt und als Kopfbedeckung genutzt, später mal ausgezogen und verloren. Und ich weiss, dass der Zahnarzt es hat. Ich hab ihn danach gefragt und er meinte, er habe es gefunden, mitgenommen, aber die Putzfrau hätte es weggeräumt und ich müsse nochmal kommen, um es zu holen. Ja nee, ist klar. Ein besonders tolles T-Shirt ist es nicht, aber mich macht die Vorstellung unzufrieden, wie er möglicherweise nun abends daran schnüffelt oder weiß Gott was noch damit treibt.
Und jetzt kommt meine Lieblingsgeschichte der ganzen Woche: Ich bin unterwegs quer durch Ukunda mit Philip, dem Schulleiter der Busara Junior, und Herrn Dr. Alexakis, seineszeichens ebenfalls Zahnarzt und Mann von Birgit, der Vereinsvorsitzenden. Als wir am Krankenhaus vorbeikommen, frage ich, ob es vielleicht möglich wäre, dass sie mir helfen, das Shirt zurückzubekommen, da ich alleine dort nicht mehr rein wolle. Und Herr Alexakis fährt sofort ran, spaziert schnurstracks rein und erzählt einem Typen, der sehr nach Manager aussieht, energisch, seine Tochter (er zeigt auf mich) habe ein T-Shirt beim Zahnarzt verloren und möchte es zurück. Der Inder kommt und fällt fast in Ohnmacht, jammert, die Putzfrau habe das Shirt weggeworfen und bekommt im Gegenzug einen Anschiss vom Manager, dass Patienteneigentum in diesem Krankenhaus niemals wegkäme. Ich muss grinsen. Der Manager verspricht anzurufen, sobald das Shirt da ist, oder sie werden es ersetzen. Da ich meine Telefonnummer nicht geben möchte, übernimmt auch das mein „Pseudopapa“. Am nächsten Tag in der Schule überreicht er mir mein Shirt. „Der Verehrer war sehr traurig“, meint er. Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Das Shirt ist frisch gewaschen, hat ein paar blaue Flecken, riecht frisch. Ich hoffe, ich begegne dem Kerl nicht mehr auf der Straße – immerhin sehen wir beide hier auffallend aus. Zum Glück werde ich bald umziehen. Und ich überlege, ob ich nun erst recht mal nach Indien fahren muss, um mich davon zu überzeugen, dass es da auch normale Leute gibt (immerhin gibt es ne Milliarde!), oder ob ich mich erstmal von dort fernhalten sollte, falls ich Pech habe und es nicht so ist J Das ist natürlich Spaß. Aber für heute habe ich dennoch die Schnauze gestrichen voll von Indern, und deswegen gibts zum Abendessen auch kein Chapati, Samosa oder Masala Chai, sondern kenianisches Pilau. Und das, obwohl kenianische Männer ja keinen Deut besser sind. Dazu später bestimmt mehr.

Ich danke Antonis Alexakis herzlich für diese supercoole Aktion und die Wiedergewinnung meines T-Shirts!
Und an meinen lieben Schatz zu Hause: Yasin, ich hoffe, du weisst, wie arg ich schätze, was wir beide nun schon so lange aneinander haben, insbesondere angesichts der ganzen Oberflächlichkeit in diesem Land. Ich umarme dich fest und liebe dich sehr. 

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