Ich persönlich finde ja,
man kann mir nicht vorwerfen, dass ich pauschale Vorurteile gegen irgendwelche
Volksgruppen hege. Aber wenn ich nicht bald einen vernünftigen Inder treffe,
ist es bald passiert.
Nachdem ich einen guten
Teil des Jahres 2011 mit einem zusammen leben durfte, der erst der festen Überzeugung
war, die Strahlen meiner Mikrowelle (keinesfalls aber die seines Handys) killen
die mühsam durch Yoga am Laufen gehaltenen Energieflüsse in seinem Körper und
mich anschließend um einen Monat Miete beschiss, konnte heute endlich der
Wanderpokal des irrsten Inders mit Pauken und Trompeten weitergereicht werden.
Heute hab ich etwas früher
Feierabend gemacht und bin zum Impfen ins westliche Palm Beach Hospital gegangen.
Da mein Abflug hierher relativ kurzfristig war, hatte nicht die gesamte Gesundheitsvorsorge
mehr in den Zeitplan gepasst, und wird nun einfach hier zu Ende gebracht. Ein
bisschen übertrieben finde ich sieht es aus, für eine simple Impfung ins beste
Krankenhaus der Stadt zu gehen, aber was solls. Ich werde gut behandelt und ca.
20 anderen wartenden Patienten vorgezogen. Etwas besorgt denke ich an die
Rechnung. Der Tollwutimpfstoff samt Verabreichung in Deutschland hatte um die
70 Euro gekostet. 100 hab ich mit und hoffe, es reicht, da für Weiße hier ja
schließlich immer alles teurer ist. Glücklicherweise kostet es dann nur 20 Euro,
plus 2 Euro Behandlungsgebühr. Das Zeug kommt aus Indien und hat einen anderen
Namen als mein Impfstoff der ersten beiden Dosen. Ich lese viermal die
Packungsbeilage und frage ebensooft nach, ob es auch wirklich prophylaktisch
ist und nicht etwa die Therapie für nach dem Biss. Das Päckchen sieht aber
Vertrauen erweckend aus, alles schön und steril verpackt inklusive Spritze und
Kanüle (hatte ich zur Sicherheit auch selber mit). Die Krankenschwester
pfeffert die erste Dosis vom Tisch und sie zerbricht. Ich bekomme eine neue,
und siehe da, sie stellt sich mal deutlich besser an als unser komischer
Dorfdoktor, bei dem ich mangels Alternative vor Abflug war und bei dem ich mir
sicher bin, dass er zum Impfen vergessen hat, die grosse Nadel zum Aufziehen
der Spritze gegen eine dünne auszutauschen.
Und an dieser Stelle kam
der Inder auf den Plan. Im Krankenhaus in Ukunda natürlich, nicht beim
Dorfdokter in Köln. Der Zahnarzt, dem ich zum Teil letzte Woche beim Medical
Camp in der Buschschule assistiert habe, hatte mitbekommen, dass ich im
Krankenhaus war, in dem er auch arbeitet, und kam vorbei, um bei meiner
Behandlung zuzuschauen. Und machte einen sinnvollen Vorschlag: Angesichts der
kreislauffeindlichen klimatischen Bedingungen außerhalb des Gebäudes könnte ich
mich eine halbe Stunde im Gemeinschaftsraum der Ärzte ausruhen, der ein paar
bequeme Sofas, Zeitschriften und eine Klimaanlage habe. Klingt vernünftig,
oder? Ich gehe also auf das Angebot ein. Als nächstes passiert etwas sehr Seltsames,
das entweder mit Schizophrenie, Zauberei oder aber mit dem zu tun hat, weswegen
mir Inder allmählich suspekt werden: Ein seriöser (mit kleinen Abstrichen für
das indische Kopfgewackel), in Anzug und weißen Kittel gekleideter Zahnarzt
verlässt das Zimmer, und etwa eine Viertelstunde später kommt der selbe Mann
zurück, und hat sich doch in eine eigentümliche Witzfigur verwandelt. Er hatte offenbar
geduscht und trägt jetzt nur noch ein Handtuch zu einer Art Lendenschurz gewickelt.
Und er hat eine brillante Idee: Ich könnte doch mit auf sein Zimmer kommen und
bei ihm essen, baden, und schlafen. Ich komme mir vor wie im falschen (Bollywood-)Film.
Mental kratze ich mich eine ganze Weile am Kopf, kneife mich, mache ein paar
mal die Augen auf und zu, um zu sehen, ob der Inder vielleicht verschwindet
(was er nicht tut) und lehne dann – überraschenderweise – dankend ab. Das
scheint den bestimmt Vierzigjährigen arg zu kränken. Er ergreift und küsst
meine Hand, beginnt zu weinen, und beteuert, ich sei die Liebe seines Lebens.
Ich erkläre ihm, die Liebe meines
Lebens säße in Deutschland und das sei ja nun leider, leider für ihn ein gewisses
Problem. Doch so ein Problem ist meinem indischen Verehrer offenbar völlig
fremd. Ich wundere mich, hatte ich doch gedacht, auch in Indien gäbe es ein
Konzept von Partnerschaft und Beziehung, und ich bin mir auch immer noch
sicher, dass ich nicht allzu falsch liege. Entgeistert schaut er mich an und
meint doch unverblümt, es ginge doch schliesslich nur um Sex? Er würde sich wünschen,
falls er mal eine Frau hätte, dass die ihm Spass im Urlaub erlauben würde, und
ob ich meinen Freund daheim nicht mal anrufen und um Erlaubnis fragen wolle.
Besagter Freund sollte sich nachher, nachdem er sich von seinem Lachanfall
erholt hatte, bedauernd äußern, dass ich das nicht auch gemacht habe. Dafür war
ich allerdings zu irritiert. Ich floh unter Vorwänden in einen Teil des
Krankenhauses, in dem sich mehrere Leute aufhielten, den Verehrer weiter auf
den Fersen, flehend, ich möge doch bleiben, mindestens noch eine Stunde, und
bettelnd um meine Telefonnummer. Da ich sie ihm nicht gebe, gibt er mir seine. Dann
bin ich frei, und die Nummer landet im Müll.
Unter der hoffnungsvollen
Annahme, dass ich hier nicht mehr krank genug werde, um ins Hospital zu müssen,
hätte jetzt alles vorbei sein können – wäre da nicht die Sache mit dem T-Shirt.
Das hatte ich beim Medical Camp dabei gehabt und als Kopfbedeckung genutzt, später
mal ausgezogen und verloren. Und ich weiss, dass der Zahnarzt es hat. Ich hab
ihn danach gefragt und er meinte, er habe es gefunden, mitgenommen, aber die
Putzfrau hätte es weggeräumt und ich müsse nochmal kommen, um es zu holen. Ja
nee, ist klar. Ein besonders tolles T-Shirt ist es nicht, aber mich macht die
Vorstellung unzufrieden, wie er möglicherweise nun abends daran schnüffelt oder
weiß Gott was noch damit treibt.
Und jetzt kommt meine
Lieblingsgeschichte der ganzen Woche: Ich bin unterwegs quer durch Ukunda mit
Philip, dem Schulleiter der Busara Junior, und Herrn Dr. Alexakis,
seineszeichens ebenfalls Zahnarzt und Mann von Birgit, der Vereinsvorsitzenden.
Als wir am Krankenhaus vorbeikommen, frage ich, ob es vielleicht möglich wäre,
dass sie mir helfen, das Shirt zurückzubekommen, da ich alleine dort nicht mehr
rein wolle. Und Herr Alexakis fährt sofort ran, spaziert schnurstracks rein und
erzählt einem Typen, der sehr nach Manager aussieht, energisch, seine Tochter
(er zeigt auf mich) habe ein T-Shirt beim Zahnarzt verloren und möchte es zurück.
Der Inder kommt und fällt fast in Ohnmacht, jammert, die Putzfrau habe das
Shirt weggeworfen und bekommt im Gegenzug einen Anschiss vom Manager, dass
Patienteneigentum in diesem Krankenhaus niemals wegkäme. Ich muss grinsen. Der
Manager verspricht anzurufen, sobald das Shirt da ist, oder sie werden es
ersetzen. Da ich meine Telefonnummer nicht geben möchte, übernimmt auch das
mein „Pseudopapa“. Am nächsten Tag in der Schule überreicht er mir mein Shirt.
„Der Verehrer war sehr traurig“, meint er. Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Das
Shirt ist frisch gewaschen, hat ein paar blaue Flecken, riecht frisch. Ich
hoffe, ich begegne dem Kerl nicht mehr auf der Straße – immerhin sehen wir
beide hier auffallend aus. Zum Glück werde ich bald umziehen. Und ich überlege,
ob ich nun erst recht mal nach Indien fahren muss, um mich davon zu überzeugen,
dass es da auch normale Leute gibt (immerhin gibt es ne Milliarde!), oder ob
ich mich erstmal von dort fernhalten sollte, falls ich Pech habe und es nicht
so ist J Das ist natürlich Spaß. Aber für heute habe ich dennoch die Schnauze
gestrichen voll von Indern, und deswegen gibts zum Abendessen auch kein
Chapati, Samosa oder Masala Chai, sondern kenianisches Pilau. Und das, obwohl
kenianische Männer ja keinen Deut besser sind. Dazu später bestimmt mehr.
Ich danke Antonis
Alexakis herzlich für diese supercoole Aktion und die Wiedergewinnung meines
T-Shirts!
Und an meinen lieben
Schatz zu Hause: Yasin, ich hoffe, du weisst, wie arg ich schätze, was wir
beide nun schon so lange aneinander haben, insbesondere angesichts der ganzen
Oberflächlichkeit in diesem Land. Ich umarme dich fest und liebe dich sehr.
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