Montag, 7. Mai 2012

Happy Birthday

Weil heute in der Schule kein Deutschunterricht ansteht, besuche ich noch einmal die Geburtsklinik, die ich im Zuge der Projektbesuche vor ein paar Wochen kennen gelernt hatte. Sarina kommt diesmal mit. Wir wissen beide noch nicht, was auf uns zukommt, wollen uns aber mal einen Tag lang anschauen, wie der Alltag in einem anderen Projekt ausgesehen haette.

Babys werden gewogen
Zunaechst mal beginnt er mit dem Wiegen von Babys. Der Raum ist voll mit Muettern und Kindern, die eins nach dem anderen in eine blaue Tragehose gesteckt und an den Hakenmit der Waage gehaengt werden. Eine liest das Gewicht ab, die andere traegt unter den wachsamen Augen der diensthabenden Schwester die Daten ins "Logbuch" ein, um die Entwicklung der Babys zu verfolgen. Danach geht es weiter zum Impfen.
Die Muetter kommen etwa einmal im Monat vorbei, und der Dienst ist kostenlos. Alle haben ein kleines Babybuch, und es gibt einen Graphen, in dem das Gewicht eingetragen und daran beurteilt wird, ob das Kind untergewichtig ist. Einige sind noch normal, obwohl sie furchtbar duenn aussehen. Direkt nach dem Wiegen werden sie in dicke Strickpullis gesteckt von denen ich fuerchte, dass sie dem Kind einen Hitzschlag verpassen. Aber aehnlich wie in Kanada die Babys in normalen Winterklamotten bei -30 Grad vor der Tuer nicht erfrieren, sind die Kinder hier eben an die Hitze gewoehnt. Manche Babys haben sichtlich Spass in der Wiegeschaukel, andere machen einen eher ungluecklichen Eindruck. ich frage, ob ich Bilder machen kann. Klar, sagen die Muetter; nach dem Foto wollen sie Geld. Ich gebe keines.
Impfen duerfen wir natuerlich nicht, aber wir sehen ein bisschen dabei zu. Tetanus, Polio und co stehen an, ganz normale Vorsorge wie bei uns eben auch. Dann laeuft die Oberschwester ploetzlich weg und bedeutet uns mitzukommen.

Im Geburtshaus ist eine Mutter in der Endphase angekommen - einfach so, zu Fuss, begleitet von ihrer weiblichen Verwandschaft. Uns wird bedeutet, reinzukommen. Ich frage drei mal nach, ob ich mich nicht verhoert habe - ich jedenfalls haette, wenn ich ein Kind bekaeme, nicht gerne Besuch dort. Doch der jungen Frau ist alles egal - und so kommen wir heute unverhofft in die priviligierte Situation, bei einer Geburt anwesend zu sein.
Hier wird alles mit den einfachsten Mitteln gemacht. Ich bekomme einen Kittel an und ein paar Handschuhe, die die Mutter selbst mitgebracht hat, ebenso wie Watte zum aufwischen und eine Rasierklinge zum Durchtrennen der Nabelschnur. Die Fruchtblase ist bereits geplatzt und die Dame liegt nackt und wimmernd auf einer gruenen Plastikplane im Fruchtwasser.
Aber zum Glueck fuer sie und uns geht die Geburt schnell und komplikationsfrei. Nur eine halbe Stunde spaeter ertastet die Oberschwester den Kopf, kurze Zeit spaeter ist das Baby da. Ein dunkel behaarter Kopf flutscht heraus, dann, mit leichtem Ziehen der restliche, kleine Koerper und die Nabelschnur, welche sogleich durchtrennt wird und fuer eine grosse Blutlaache auf dem Boden sorgt.
Es ist ein Maedchen, nur 2,2 Kilo schwer und unter der weissen Schmiere nicht dunkler als ich - die Farbe kommt wohl erst ein bisschen spaeter. Es schaut sich um, schreit ein bisschen, wird dann eingewickelt und zur Seite gelegt.
Die Mutter zeigt relativ wenig Interesse sondern kuemmert sich erstmal um die Nachgeburt. Die Oberschwester erklaert mir alles ganz genau, wir inspizieren die Plazenta, um zu schauen, ob sie komplett ist, dann wird sie fachgerecht entsorgt.
Ich finde die ganze Sache total spannend, gar nicht eklig und finde es toll, dass ich es miterleben kann - das ist bestimmt ein einmaliges Erlebnis, ausserhalb eigener Kinder in der Zukunft. Ich war mir nicht sicher, wie ich reagieren wuerde, doch was mich durchaus mehr umhaut als der Anblick einer Geburt ist die Nuechternheit und Routine, mit der alles passiert. Niemand tupft der Mutter die Stirn, ist an ihrer Seite und spricht beruhigende Worte. Niemand legt der Mutter das Neugeborene in den Arm. Tatsaechlich holt es nachher die Oma ab, bevor die Mutter es richtig gesehen hat - dann, nachdem sie einigermassen sauber gemacht wurde, legt sich die Mutter in den Vorraum zum Ausruhen, das Kind immer noch nicht im Arm. Einen Namen hat das Maedchen auch noch nicht, der wird spaeter mit dem Vater ausgesucht, doch der kommt nicht. Das Geschlecht war der Frau bis zur Geburt ja auch unbekannt, denn Ultraschall und andere Voruntersuchungen lassen die Wenigsten machen. Hier in der Klinik wird nur mit einem altmodischen, trichterfoermigen Hoerrohr nach den Herztoenen gelauscht - ich probiere es auch mal, hoere aber gar nichts ausser meinen Innenophrgeraeuschen, aehnlich dem "Meeresrauschen", wenn man sich eine grosse Muschel ans Ohr haelt.

nach der Geburt wird die Liege fuer die Naechste gesaeubert. Waehrrend der Geburt hab ich aus Diskretionsgruenden natuerlich keine Bilder gemacht

Nur ein paar Stunden spaeter gehen Mutter und Tochter nach Hause. Wir reinigen mit einer Chlorloesung das Zimmer, die Liege, Matte und den Fussboden sowie die Geraete und Schalen, waehrend schon die naechsten beiden Muetter in der Warteschlange stehen.
Eine von beiden ist erst zwischen vierzehn und sechzehn Jahren alt - das wissen sie hier nie so genau, denn Geburtstage sind nicht besonders wichtig. Ihr Bauch ist im Vergleich zur ersten Mutter riesig, und wir warten Stunden, Mittagspause zwischendrin eingeschlossen, dass sich der Muttermund den letzten notwendigen Zentimeter oeffnet. Als es so weit ist, hat das junge Maedchen keine Kraft mehr zum Pressen, auch wenn die Schwester sie dazu im Bundeswehrjargon animiert, sie Gymnastik machen laesst, undsoweiter, nichts hilft. Am spaeten Nachmittag gibt es einen Aufruhr, die Frau soll in die Klinik zum Kaiserschnitt. Es wird viel telefoniert, zuerst, ob die Familie das Geld fuer den Krankenwagen hat, dann verschiedene Krankenhaeuser angerufen. Eins hat keinen Anaestesisten, ein anderes keinen freien OP. Erst spaeter kommt ein Krankenwagen, Mutter und Familie steigen ein, alle sitzen eng zusammen wie im Matatu, die Schwangere eingeschlossen, die immer noch selbst zum Auto gelaufen ist. Sie muessen in ein Krankenhaus in Mombasa, mindestens eine Stunde Fahrt entfernt, mit der Faehrueberfahrt zwischendrin. Sechzig Euro wird der Kaiserschnitt kosten, die Mutter muss bleiben, bis das Geld bezahlt ist. Ob das Kind es schafft, wissen wir nicht - morgen werden wir anrufen und nachfragen und das Allerbeste hoffen. Und wieder erstaunt uns die stoische Ruhe, mit der die Familie die Situation ertraegt.

Die dritte Schwangere bekommt gerade Abendessen und liegt noch ziemlich ruhig herum, als wr Feierabend machen. Irgendwann heute Nacht wird das Baby kommen.
Ich bin immer noch ganz platt von den Eindruecken dieses Tages. Aber mit der Geburt, die wir gesehen haben, hatten wir, glaube ich, grosses Glueck. Sicher hatte die Frau auch Schmerzen, insbesondere da hier ja alles ohne PDA und co gehen muss. Aber es war deutlich weniger schlimm als die meisten Geburtsszenen im Fernsehen und das ist beruhigend, wenn man selbst mal in die Situation kommt, ein Kind auf die Welt bringen zu muessen, finde ich.

Ich bin sehr froh, dass ich dieses Erlebnis haben konnte und hoffe, das die drei Muetter und ihre Babys von heute gesund und munter in ihr (weiteres) Leben starten. 
 

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