Hätte ich gewusst, dass
ich heute genötigt werde, mit meinem Kollegen um die Wette zu sprinten, hätte
ich sicherlich keinen langen Rock angezogen.
Die Examen sind vorbei
und den Kindern wird gegönnt, sich mal so richtig auszutoben. Eine muntere Schülerkarawane
marschiert fröhlich los Richtung Sportplatz. Ich bleibe erstmal mit Baby Class
und Kindergarten auf dem Schulhof. Die Kinder tanzen, es gibt Wettbewerbe im
Sackhüpfen und Kartoffellaufen (also einen Parcours mit einer auf einem Löffel
befindlichen Kartoffel bewältigen, ohne diese fallen zu lassen). Chris, mein
persönlicher Freund, will nicht mitmachen. Er hängt mir am Rockzipfel und
heult, bis ich ihn auf den Arm nehme. Dann schubst er alle weg, die auch
dorthinwollen, und heult noch viel mehr, als ich ihn daraufhin wieder absetze.
Im Anschluss machen wir
ein kleines Fotoprojekt: Wir setzen bzw. stellen die Kinder in Form von
Buchstaben auf den Boden und fotografieren so die Worte „Welcome“ und „Jambo“.
Chantal und ich beim Rumtoben |
Ich sitze am Rand unter
den Bäumen im Schatten und schaue zu, und kriege davon fast schon einen
Kreislaufkollaps – ans Mitmachen ist nicht zu denken. Am Horizont zieht ein
Gewitter auf, das erste der Regenzeit, die so sehnsüchtig erwartet wird (von
mir nicht, gebe ich zu). Es donnert, und die Kinder schreien verängstigt rum
und rennen Richtung Schule, bis ein Lehrer sie zurückbeordert. Ob ich keine
Angst hätte, gerade unter den Bäumen, fragen die Zurückgekehrten. Ich erkläre,
dass es doch gar nicht blitzt, wie Donner zu Stande kommt, und dass das nicht
gefährlich ist. Wie man ausrechnen kann, wie weit das Gewitter noch entfernt
ist, und dass, wenn es da ist, ja, man sich besser nicht unter einem Baum
befindet. Es sammelt sich eine Gruppe um mich, und damit ist die
Frage-Antwort-Runde eröffnet. Ich lerne Rachel kennen, eine Sechstklässlerin,
die eine Brille trägt, was in Kenia sehr selten ist und entsprechend auffällt.
Sie ist aktiv und stellt viele kluge Fragen. Es beginnt mit Fragen zu
Deutschland, der Hauptstadt, dem Präsidenten, der Nationalhymne. Ob wir
Schuluniformen hätten, und wie eine Hochzeit bei uns aussieht? Großes Erstaunen
bei manchen, als ich erkläre, dass die Eltern des Bräutigams der Braut keine
Kuh schenken müssen. Dass es Väter gibt, die auf Kinder aufpassen, während Mütter
arbeiten, dass es Gesetze gibt, die das Schlagen von Kindern verbieten, dass ich
kein Auto besitze und dass Kohl auch bei uns wächst, weil eben nicht das ganze
Jahr Schnee liegt und es zwischendrin so warm wird wie in Kenia. Rachel weiß
vieles davon schon, sie hat Verwandschaft in Deutschland. Sie zeigt auf sich,
und meint, sie sei sogar ein bisschen weiß. Wir vergleichen unsere Arme. Weiß
ist sie nicht. „Warum sind Europäer weiß und Afrikaner schwarz?“, will eine
wissen. Was soll ich sagen? Ich erkläre, obwohl die Kinder das ja wissen, dass
der Ursprung der Menschheit in Afrika liegt, und unsere Vorfahren vermutlich
alle Schwarze waren. Dass dann welche gewandert sind und wir keine dunkle Haut
brauchen oben im Norden, und dass wir somit heute nicht mehr gemacht sind für
das Leben in Afrika. Ich erkläre das Konzept von Sonnenbrand, zeige, dass meine
Arme rote und braune Flecken haben und man meine Adern durch die Haut sieht.
Der Neid auf die Hautfarbe schwindet ein bisschen.
Meine Gastschwester hatte
ich vor ein paar Tagen dabei erwischt, wie sie sich millimeterdick mit
Bodylotion einschmierte, bis sie ganz hell war. Es ist wichtig, dass du dich so
hübsch findest, wie Gott dich gemacht hat, sage ich ihr, weil ich weiß, dass
die Mama zuhört, die es immer ganz toll findet, wenn man Gott erwähnt. Gute Tat
des Tages als getan verbucht.
Die Kinder auf dem
Sportplatz sind inzwischen so nah aufgerückt, dass ich drohe zu ersticken. Sie
hatten mir netterweise einen Stuhl gebracht und mich mit sanfter Gewalt darauf
platziert, sodass sie nun größer sind als ich und auch der Sauerstoff von oben
knapp wird. Rachel beordert die Mitschüler ein paar Schritte zurück. Dann
erblicken mich leider die Lehrer und kommandieren mich zum Wettlauf des
weiblichen Kollegiums.
Dazu sollte ich sagen,
dass ich auch unter gemäßigteren klimatischen Bedingungen ein außerordentlich
unsportliches Wesen bin. Sport, der nichts mit flüssigem oder gefrorenem Wasser
zu tun hat, ist nix für mich. Früher hatte ich lange geturnt und ich bin sogar
recht beweglich, aber Ausdauer hab ich wenig und vor Ball- und Teamsportarten
habe ich regelrecht Angst.
Die Kinder feuern mich
an, also mache ich mit – es geht ja um nichts. Es gibt drei Fehlstarts (nicht
meinetwegen!). Ich bin glücklicherweise nicht die Einzige mit einem bodenlangen
Rock. Manche tragen Flip Flops, ich immerhin Crocs, manche aber auch Leggings
und Turnschuhe. Sehr fair J
Ich ziehe dann meinen
Rock schliesslich bis zu den Knien hoch und als endlich ein Start gelingt,
laufe ich über die krumme Buckelpiste einfach mal los, ohne mich zu überanstrengen.
Und damit werde ich Zweite?! Die Kinder sind aus dem Häuschen und geleiten mich
in einer Prozession zurück unter meinen Baum. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob
man mich hatte gewinnen lassen wollen, oder ob die Klamotten und das Alter nicht
doch ihr Übriges getan haben.
Nach dem Mittagessen
klingt dann der letzte wirkliche Schultag langsam aus. Morgen werden sie nur
noch kommen, um die offizielle Termabschlusszeremonie zu halten und dann die
Schule zu schliessen.
Ich für meinen Teil gehe
nach Hause: Unter die Dusche!
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