Mittwoch, 4. April 2012

Es lebe der Sport


Hätte ich gewusst, dass ich heute genötigt werde, mit meinem Kollegen um die Wette zu sprinten, hätte ich sicherlich keinen langen Rock angezogen.
Die Examen sind vorbei und den Kindern wird gegönnt, sich mal so richtig auszutoben. Eine muntere Schülerkarawane marschiert fröhlich los Richtung Sportplatz. Ich bleibe erstmal mit Baby Class und Kindergarten auf dem Schulhof. Die Kinder tanzen, es gibt Wettbewerbe im Sackhüpfen und Kartoffellaufen (also einen Parcours mit einer auf einem Löffel befindlichen Kartoffel bewältigen, ohne diese fallen zu lassen). Chris, mein persönlicher Freund, will nicht mitmachen. Er hängt mir am Rockzipfel und heult, bis ich ihn auf den Arm nehme. Dann schubst er alle weg, die auch dorthinwollen, und heult noch viel mehr, als ich ihn daraufhin wieder absetze.
Im Anschluss machen wir ein kleines Fotoprojekt: Wir setzen bzw. stellen die Kinder in Form von Buchstaben auf den Boden und fotografieren so die Worte „Welcome“ und „Jambo“.

Chantal und ich beim Rumtoben
Danach ist Tea Time, Frühstückspause für die Kiddies und Lehrer. Danach gehe ich mit den Großen mit. Die Jungs machen einen Wettbewerb im Schnellgehen, und ich bestaune, wie sehr der führende Viert- oder Fünftklässler schon diesen besonderen Laufstil raus hat, der immer so komisch aussieht, aber offenbar sehr effektiv ist. Leichtathletik ist ja absolut das Steckenpferd der Kenianer, und auch dieses Jahr werden die Ostafrikaner die Laufmedaillen aus London wieder unter sich ausmachen, jede Wette. Die Kinder hier träumen zum Teil von einer Karriere als Sportler und den damit verbundenen großen Reisen und dem Ruhm. Einige sehen zumindest so aus, als wären sie auf einem guten Weg.
Ich sitze am Rand unter den Bäumen im Schatten und schaue zu, und kriege davon fast schon einen Kreislaufkollaps – ans Mitmachen ist nicht zu denken. Am Horizont zieht ein Gewitter auf, das erste der Regenzeit, die so sehnsüchtig erwartet wird (von mir nicht, gebe ich zu). Es donnert, und die Kinder schreien verängstigt rum und rennen Richtung Schule, bis ein Lehrer sie zurückbeordert. Ob ich keine Angst hätte, gerade unter den Bäumen, fragen die Zurückgekehrten. Ich erkläre, dass es doch gar nicht blitzt, wie Donner zu Stande kommt, und dass das nicht gefährlich ist. Wie man ausrechnen kann, wie weit das Gewitter noch entfernt ist, und dass, wenn es da ist, ja, man sich besser nicht unter einem Baum befindet. Es sammelt sich eine Gruppe um mich, und damit ist die Frage-Antwort-Runde eröffnet. Ich lerne Rachel kennen, eine Sechstklässlerin, die eine Brille trägt, was in Kenia sehr selten ist und entsprechend auffällt. Sie ist aktiv und stellt viele kluge Fragen. Es beginnt mit Fragen zu Deutschland, der Hauptstadt, dem Präsidenten, der Nationalhymne. Ob wir Schuluniformen hätten, und wie eine Hochzeit bei uns aussieht? Großes Erstaunen bei manchen, als ich erkläre, dass die Eltern des Bräutigams der Braut keine Kuh schenken müssen. Dass es Väter gibt, die auf Kinder aufpassen, während Mütter arbeiten, dass es Gesetze gibt, die das Schlagen von Kindern verbieten, dass ich kein Auto besitze und dass Kohl auch bei uns wächst, weil eben nicht das ganze Jahr Schnee liegt und es zwischendrin so warm wird wie in Kenia. Rachel weiß vieles davon schon, sie hat Verwandschaft in Deutschland. Sie zeigt auf sich, und meint, sie sei sogar ein bisschen weiß. Wir vergleichen unsere Arme. Weiß ist sie nicht. „Warum sind Europäer weiß und Afrikaner schwarz?“, will eine wissen. Was soll ich sagen? Ich erkläre, obwohl die Kinder das ja wissen, dass der Ursprung der Menschheit in Afrika liegt, und unsere Vorfahren vermutlich alle Schwarze waren. Dass dann welche gewandert sind und wir keine dunkle Haut brauchen oben im Norden, und dass wir somit heute nicht mehr gemacht sind für das Leben in Afrika. Ich erkläre das Konzept von Sonnenbrand, zeige, dass meine Arme rote und braune Flecken haben und man meine Adern durch die Haut sieht. Der Neid auf die Hautfarbe schwindet ein bisschen.
Meine Gastschwester hatte ich vor ein paar Tagen dabei erwischt, wie sie sich millimeterdick mit Bodylotion einschmierte, bis sie ganz hell war. Es ist wichtig, dass du dich so hübsch findest, wie Gott dich gemacht hat, sage ich ihr, weil ich weiß, dass die Mama zuhört, die es immer ganz toll findet, wenn man Gott erwähnt. Gute Tat des Tages als getan verbucht.
Die Kinder auf dem Sportplatz sind inzwischen so nah aufgerückt, dass ich drohe zu ersticken. Sie hatten mir netterweise einen Stuhl gebracht und mich mit sanfter Gewalt darauf platziert, sodass sie nun größer sind als ich und auch der Sauerstoff von oben knapp wird. Rachel beordert die Mitschüler ein paar Schritte zurück. Dann erblicken mich leider die Lehrer und kommandieren mich zum Wettlauf des weiblichen Kollegiums.
Dazu sollte ich sagen, dass ich auch unter gemäßigteren klimatischen Bedingungen ein außerordentlich unsportliches Wesen bin. Sport, der nichts mit flüssigem oder gefrorenem Wasser zu tun hat, ist nix für mich. Früher hatte ich lange geturnt und ich bin sogar recht beweglich, aber Ausdauer hab ich wenig und vor Ball- und Teamsportarten habe ich regelrecht Angst.
Die Kinder feuern mich an, also mache ich mit – es geht ja um nichts. Es gibt drei Fehlstarts (nicht meinetwegen!). Ich bin glücklicherweise nicht die Einzige mit einem bodenlangen Rock. Manche tragen Flip Flops, ich immerhin Crocs, manche aber auch Leggings und Turnschuhe. Sehr fair J
Ich ziehe dann meinen Rock schliesslich bis zu den Knien hoch und als endlich ein Start gelingt, laufe ich über die krumme Buckelpiste einfach mal los, ohne mich zu überanstrengen. Und damit werde ich Zweite?! Die Kinder sind aus dem Häuschen und geleiten mich in einer Prozession zurück unter meinen Baum. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man mich hatte gewinnen lassen wollen, oder ob die Klamotten und das Alter nicht doch ihr Übriges getan haben.

Nach dem Mittagessen klingt dann der letzte wirkliche Schultag langsam aus. Morgen werden sie nur noch kommen, um die offizielle Termabschlusszeremonie zu halten und dann die Schule zu schliessen.  
Ich für meinen Teil gehe nach Hause: Unter die Dusche!

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