Dienstag, 3. April 2012

Mission: Hausbesuch

Nach zwei Stunden Kindergarten bei meinen neuen Freunden Mary, Chris und Chantal kommt Birgit in die Schule, und nach dem Tee machen wir uns mit dem prall gefüllten Van wie geplant auf, um Reis und Bohnen (und manch anderes) unter die Bevölkerung zu bringen.
Eine Menge Familien klappern wir ab, rund um die Schule. Ich mache Notizen und Fotos für die Paten, damit nachher auch die Bilder der Übergabe bei den großzügigen Spendern der Inhalte unserer Pakete ankommen. Die Familien, die wir besuchen, sind wirklich unterschiedlich. Es wäre unpassend zu sagen, dass manche "reicher" wären, denn reich ist definitiv das falsche Wort hier. Aber man sieht die Unterschiede zwischen arm und ganz arm. Ich lerne, dass die Höhe der Miete sich neben der Anzahl der Zimmer (die meisten haben nur eines, höchstens zwei) und der Verfügbarkeit von fließend Wasser (hat fast niemand) und Strom (haben ein paar, und betreiben damit dann auch oft einen Fernsehapparat) auch danach bemisst, ob etwa zwischen den Wänden und dem darüber befindlichen, nicht an den Wänden montierten Dach aus Palmblättern oder Wellblech noch eine waagerechte Raumdecke eingezogen ist. Eine solche macht 5 Euro monatlich aus - bei einer Gesamtmiete von dann 15 Euro.
Architektonisch wiederholt sich immer derselbe Baustil: Etwas, was von außen wie ein geräumiges Einfamilienhaus wirkt, entpuppt sich innen als ein langer Flur mit davon abgehenden, nur durch Vorhänge abgetrennten Einzelzimmern, die dann von der ganzen Familie bewohnt werden.
Viele dieser Zimmer betreten wir heute. Ich wäge ab zwischen der Höflichkeit, die Schuhe auszuziehen, und der Gefahr, mir Jiggers (siehe den Post zum Medical Camp) einzufangen, und entscheide mich für ersteres. Die Leute begrüßen uns alle freundlich, schütteln uns die Hände, und manche wollen sich partout revanchieren - so kauft eine Familie für uns eine Flasche Cola, die andere schenkt uns ein paar Kokosnüsse. Die Dame mit den Kokosnüssen hab ich noch genau im Kopf, weil deren Mienenspiel, als sie den Sack mit dem ganzen Essen, den unser Tragehelfer ihr in die Wohnung schleppte, erblickte, einfach Bände sprach, und sie sich so herrlich freute.
Beeindruckt hat mich insbesondere der Besuch bei einem (offenbar sehr gläubigen) Herren, der neben seinen eigenen fünf auch fünf verwaiste Kinder seiner Geschwister durchbrachte und uns mit vielen Hinweisen auf seine Gebete erklärte, wie dankbar er Gott und dem Verein sei, dass nun alle seine Kinder zur Schule gehen könnten, auch wenn dafür ab und an das Abendessen ausfiele, und wie sie alle an einem Strang zögen und niemand sich beschwerte. Mich angesichts meiner Kleidung offenbar für islamischen Glaubens haltend, erklärte er mir mehrfach, wie toll er es fände, dass wir Anhänger verschiedener Religionen so gut zusammenarbeiten könnten, wünschte mir Frieden und zeigte sich so in sich selbst ruhend und bescheiden glücklich - obwohl er innerhalb jeder Definition, die mir mit meinem europäischen Kopf einfällt, eigentlich überhaupt nichts besaß.
Ich sehe Ecken von Ukunda, die mir bis dahin fremd waren, weil sie über staubige, verwinkelte Sandpisten abseits der Hauptstraße liegen, und ich erwische mich dabei, wie ich Familien, die drei Zimmer ohne fließend Wasser und ein schäbiges Sofa besitzen, als weniger bedürftig einschätze als den Mann mit seinen 10 Kindern ohne Abendessen, obwohl auch diese Familien natürlich noch weit entfernt von einem ansatzweise befriedigenden Lebensstil sind. Die Leute erklären uns, wie sie abends die Möbel umstellen, damit die Kinder auf dem Boden einen Schlafplatz finden, und andere Dinge, die einen wieder daran erinnern, wie glücklich man selbst über den Zufall sein muss, auf dem "richtigen" Kontinent geboren worden zu sein.


Eine Mutter zeigt uns das Bild ihrer Tochter nach einem Brandunfall.
Das Mädchen bekommt bereits das Schulgeld gesponsert, doch
es steht auch noch eine Operation der verhärteten Bauchdecke an,
die zur Zeit noch nicht finanzierbar ist


diese Dame überreicht Mama Birgit ein Dankesgeschenk

diese beiden sind stolz auf ihren Fernseher

Es ist nicht so, dass ich angesichts der heutigen Eindrücke depressiv nach Hause gehe - vielmehr war der Tag eine schöne Erfahrung. Man begegnet Menschen, und kann mit kleinen Dingen große Freude bereiten. Dass ich Afrika nicht im Alleingang retten kann, ist mir klar, und deswegen mache ich mir auch bewusst, dass ihr hier meinen eigenen kleinen Teil zum großen Ganzen beitrage, anstatt mich zu Hause zu verkriechen, aus Angst, hier möglicherweise Elend zu sehen. Und so kann ich auch guten Gewissens schlafen, in meiner Dreizimmerwohnung mit fließend Wasser und Strom, der auch heute Nacht wieder ausfällt, die etwa so aussieht wie eine nackte Garage, ohne Kacheln in der Dusche und mit verfallenen Wänden, und um die mich viele Kenianer, aber kein Deutscher beneiden würde.


1 Kommentar:

  1. Oh ja, das war ein Tag!! Wird im Sommer sicher wiederholt, nur bist Du dann nicht mehr da. Schade! LG Birgit

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